
HIV und Diskriminierung: Interview mit Barbara Murero von der AIDS Hilfe Wien
Im März diesen Jahres hat eine HIV-positive Frau vom Bezirksgericht Döbling in erster Instanz Schadenersatz zugesprochen bekommen (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig). Der Grund: Sie wurde von einer Zahnärztin diskriminiert, die ihr zunächst gar keinen Termin und dann nur einen Randtermin aufgrund "spezieller Hygienemaßnahmen" anbieten wollte.
Leider sind solche Fälle keine Ausnahme. Immer wieder erleben HIV-positive Menschen Ungleichbehandlung und Schlechterstellung. Die Aids Hilfe Wien versucht, durch individuelle Beratung von Diskriminierung betroffene Menschen zu unterstützen und zu stärken. Dazu wurde auch eine eigene Meldestelle für Diskriminierungsfälle eingerichtet.
Wir haben mit der Verantwortlichen für die Meldestelle der Aids Hilfe Wien, Barbara Murero-Holzbauer, über die Gründe für Diskriminierung und die Unterstützung von Betroffenen gesprochen:
Die Aidshilfe Wien hat eine eigene Meldestelle für Diskriminierungsfälle. Seit wann gibt es diese und wie funktioniert sie?
Die Meldestelle besteht seit genau 10 Jahren – wir haben also ein „Jubiläum“. Meldungen oder Fragen zum Thema HIV und Diskriminierung können persönlich, per Mail an antidiskriminierung@aids-hilfe-wien.at, telefonisch unter 01/599 37 – 96 oder über ein anonymes Online-Formular gemacht bzw. gestellt werden. Darüber hinaus fungiert die Aids Hilfe Wien auch als österreichweite Monitoringstelle, die HIV-bezogene Diskriminierungsmeldungen anonymisiert sammelt; das bedeutet, dass die Aids Hilfen in den anderen Bundesländern ihre Meldung ebenfalls (anonymisiert) an die AHW schicken.
Was genau passiert, nachdem jemand eine Diskriminierung gemeldet hat?
Die Aids Hilfe Wien bietet kostenlose Beratung für HIV-positive Menschen bei Diskriminierung an. Das beinhaltet etwa die Beantwortung allgemeiner Anfragen und das Bereitstellen von Informationen. Ebenso begleitet die Aids Hilfe bei Interventionen und rechtlichen Schritten im Bereich HIV-spezifischer Ungleichbehandlung. Selbstverständlich ist die Beratung völlig vertraulich und kann gerne auch anonym erfolgen. Sie richtet sich ganz nach den Bedürfnissen von den von Diskriminierung Betroffenen: es wird über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten informiert, bei Bedarf gemeinsam eine individuelle Vorgangsweise oder Intervention erarbeitet und in schwierigen Situationen begleitet. Auch eine reine Meldung der Ungleichbehandlung ohne weitere Beratung oder Schritte ist möglich.
Gemeinsam wird der Sachverhalt abgeklärt und geschaut, ob eine Diskriminierung vorliegt. Ich kann dann als Betroffene*r (rechtliche) Unterstützung erhalten, wenn ich das möchte, oft möchten die Menschen auch „nur“ über das Erlebte berichten und keine weiteren Schritte setzen und auch völlig anonym bleiben.
Arbeitet die Aidshilfe diesbezüglich mit anderen Vereinen zusammen?
Ja, wir sind mit vielen Vereinen gut vernetzt und bieten auf Wunsch auch Schulungen zum Thema Antidiskriminierung an.
Wenn der Fall eintritt, dass ein*e Klient*in den Klagsweg beschreiten möchte, dann arbeiten wir eng mit dem Klagsverband zusammen, dessen Mitgliedsorganisation wir als Aids Hilfe Wien sind. Es wird dann geprüft, ob eine Klage eingebracht werden kann oder nicht.
Laut Statistik der Aidshilfe betreffen mehr als 65% der Meldungen das Gesundheitswesen. Welche Art von Diskriminierung kommt hier am häufigsten vor?
Es reicht von abwertendem Verhalten durch das Gesundheitspersonal (erniedrigende oder abwertende Kommentare und Beleidigungen bei Untersuchungen - was in diesem sensiblen Setting wirklich traumatisierend sein kann) bis zur Verweigerung einer Behandlung. Oft wird auch nur ein Schlusstermin angeboten, begründet wird dies mit speziellen Sicherheits- und Hygienevorschriften extra für HIV-positive Menschen – was aber natürlich nicht stimmt.
Was ist aus Sicht der Aidshilfe der Grund für die anhaltende Diskriminierung HIV-positiver Menschen?
Eine Schlechterbehandlung kommt oft aufgrund von Nicht-Wissen oder irrationalen Ängsten vor. Deswegen ist uns neben der Beratung von Betroffenen besonders die Aufklärung und Information über die Übertragungsweise von HIV wichtig. Wir schulen Jugendliche mittels sexualpädagogischer Workshops, aber auch genauso mögliche Multiplikator*innen, wie z.B. Personen aus dem Gesundheitsbereich oder aus der Arbeitswelt im Rahmen unserer Initiative #positivarbeiten.
Manchmal bestehen aber auch noch Vorurteile und alte Bilder – HIV bekommen „nur“ Personen, die gleichgeschlechtlichen Sex haben, die Drogen konsumieren etc. HIV-positiv zu sein ist leider noch immer mit vielen Vorurteilen behaftet, stigmatisiert.
Leider ist es tatsächlich 2023 so, dass die Lebensqualität von HIV-positiven Menschen mehr durch Stigma und Vorurteile belastet ist, als durch die medizinischen Folgen einer HIV-Infektion. Die Akzeptanz hinkt leider den medizinischen Fortschritten nach.
Welche Möglichkeiten gibt es, Ungleichbehandlung einzudämmen? Gibt es eigene Kampagnen für Gesundheitsberufe?
Wissen statt Vorurteile – nicht nur der Titel unserer Broschüre, sondern meiner Ansicht nach auch der beste Weg, um gegen Ungleichbehandlung vorzugehen. Vorurteile und Ängste abzubauen, in Dialog zu gehen, Wissensvermittlung, Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung sind uns hier ein sehr großes Anliegen, dadurch kann Diskriminierung ganz wesentlich vorgebeugt werden.
Im Rahmen unseres Projekts #lustaufreden schulen wir Ärzt*innen und Gesundheitspersonal zum Thema HIV und STI, die Inhalte sind auch online als kostenloses E-Learning verfügbar. Wir bieten ebenso Workshops und Vorträge für Auszubildende in Pflegeberufen an.
Wichtig ist mir auch zu sagen: Man muss eine Schlechterbehandlung aufgrund einer HIV-Infektion nicht akzeptieren, man hat das Recht auf Gleichbehandlung! Wir sind für Betroffene da, wenn sie darüber reden wollen und/oder fachliche Unterstützung brauchen!
Wer als HIV-Positive*r eine Ungleichbehandlung erlebt hat, kann das direkt online melden oder auch per Mail an antidiskriminierung@aids-hilfe-wien.at oder telefonisch unter 01/599 37-96 Kontakt zur Antidiskriminierungsstelle aufnehmen.
Die AIDS-Hilfe Wien hat außerdem eine Broschüre für Betroffene, Familien, Freund*innen, Arbeitgeber*innen, Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen und Multiplikator*innen zum Thema Diskriminierung herausgebracht.